Reinhard Kleist
Reinhard Kleist
Bereits für seine erste Comic-Veröffentlichung wurde er mit dem Max und Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet. Das war 1996 und der Band hieß schlicht „Lovecraft“. Inzwischen ist Reinhard Kleist aus der deutschen Comic-Gegenwart kaum noch wegzudenken. Was schnell vergessen lässt, dass es 10 Jahre kontinuierlicher Arbeit und Entwicklung erforderte, bis ihm mit seiner Johnny-Cash-Biografie „I see a Darkness“ der Durchbruch gelang – und das gleich international: Reinhard Kleist zählt heute zu den beachtetsten deutschen Comic-Künstlern – auch jenseits der Landesgrenzen.
2010 folgt die Biografie Fidel Castros, in der Kleist die Jahre vor und nach der Revolution in expressivem Schwarz-Weiß ebenso lebendig inszeniert wie Kubas Städte und Landschaften, bevor er sich „kleineren“ Geschichten zuwendet: Schicksalen, die ihn persönlich bewegen und die er davor bewahrt, im immer schnelleren Strom unserer Zeit vergessen zu werden, indem er ihnen nachspürt. Sich auf die Suche macht, nach den Fakten und den Umständen, vor allem aber nach den Menschen, die hinter den Ereignissen stehen – oder besser: in ihrem Mittelpunkt, im Zentrum des Sturms.
In „Der Boxer“ ist es der jüdische Teenager Hertzko Haft, der sich in Auschwitz als Boxer zum Vergnügen der SS-Offiziere durchschlägt und der später, nach geglückter Flucht, in den USA zum Profiboxer aufsteigt. In „Der Traum von Olympia“ verfolgt Kleist die mehr als einjährige Flucht der somalischen Leichtathletin Samia Yusuf Omar vor islamistischen Fundamentalisten, durch glühende Wüsten bis nach Tripolis, von wo aus sich ihre Spur auf einem Schlauchboot im Mittelmeer verliert. Schicksale, in denen Geschichte ein Gesicht bekommt.
Ebenso wie als Zeichner hat Reinhard Kleist somit auch als Erzähler einen unverkennbar eigenen Stil entwickelt, den er immer wieder überraschend neu interpretiert. So etwa in „Mercy on me“, seinem jüngsten Werk und mit über 300 Seiten bisherigem Opus Magnum, in dem er den kompromisslos heiklen Weg Nick Caves aus einem Provinzkaff im australischen Nirgendwo zur Popikone nicht nur in Bildern nachzeichnet, sondern auch in dessen Songs. „I can’t remember anything at all“, singt Cave am Schluss des Bandes. In Reinhard Kleists Graphic Novels jedoch bleiben die Erinnerungen lebendig.
Andreas C. Knigge